harbour front literaturfestival: clemens meyer
„Du liegst auf der Straße. Und dabei hast du gedacht, die neunziger Jahre sind vorbei.”
Sagen wir, wir befinden uns in einer ziemlich großen Stadt in der mitteldeutschen Tiefebene. Zu DDR-Zeiten gab es geheime Pläne, sie abzubaggern, ruht sie doch auf Braunkohleflözen, die das marode Ländchen so bitter nötig hatte. Nach der Wende kamen die Investoren, manche seriös, viele windig, und die Stadt nahm einen erstaunlichen Aufschwung: Messestandort, mit Seenlandschaften, dort wo einst die Tagebaue grollten, und einer beneidenswert aktiven Kunstszene. Doch all die Meriten dieser Stadt, die blankpolierten Gründerzeitfassaden, die angenehm überraschten Touristen aus Westdeutschland und anderswo, die sind dem Schriftsteller Clemens Meyer keinen Heller wert. Ihn interessieren die Dunkelheit, das Raue, Obsessive, die Zwischenwelten und die Gestalten der Nacht, wie sie tanzen, straucheln und wieder aufstehen. Und manchmal liegen bleiben.
„Im Stein” (S. Fischer) heißt sein neuer Roman, für den sich jeder einzelne Tag des Wartens (immerhin um die 2555 seit „Als wir träumten”) gelohnt hat. Das 558 Seiten starke Buch ist ein großer Wurf, weil sich in ihm Empathie, scharfe Beobachtungsgabe, die Fähigkeit zur Innensicht und der bis in Nuancen stimmige Ton zu großer Literatur vereinen. In fortwährend inneren Monologen mäandern die Gedanken von Meyers Protagonistenteam durch die Nacht: Babsi, die Hure aus Jena-Paradies, der versoffene Jockey, der seine Tochter sucht, die schon mit 14 an der Nadel hing, AK 47, der angeschossen auf irgendeinem Parkplatz verreckt. Sie alle bevölkern diese Stadt bei Nacht, und doch hat man das Gefühl, dass sie nur die Vorhölle erleben, während das wahre Grauen abgeht, wenn die Sonne scheint: „Du kannst einen Kampf nur gewinnen, indem du ihn vermeidest.”
In der Literatur des 1977 in Halle geborenen Clemens Meyer steckt eine brachiale Kraft, eine Härte, die Aufrichtigkeit atmet, und ein tiefes Verständnis für die am Rande Stehenden. Ja, man möchte fast von einer Botschaft sprechen, wüsste man nicht, dass Meyer darüber ziemlich spöttisch grinsen würde.
cap san diego (überseebrücke), dienstag, 17.9., 21.00 uhr, euro 13,-/11,-
„Du liegst auf der Straße. Und dabei hast du gedacht, die neunziger Jahre sind vorbei.”
Sagen wir, wir befinden uns in einer ziemlich großen Stadt in der mitteldeutschen Tiefebene. Zu DDR-Zeiten gab es geheime Pläne, sie abzubaggern, ruht sie doch auf Braunkohleflözen, die das marode Ländchen so bitter nötig hatte. Nach der Wende kamen die Investoren, manche seriös, viele windig, und die Stadt nahm einen erstaunlichen Aufschwung: Messestandort, mit Seenlandschaften, dort wo einst die Tagebaue grollten, und einer beneidenswert aktiven Kunstszene. Doch all die Meriten dieser Stadt, die blankpolierten Gründerzeitfassaden, die angenehm überraschten Touristen aus Westdeutschland und anderswo, die sind dem Schriftsteller Clemens Meyer keinen Heller wert. Ihn interessieren die Dunkelheit, das Raue, Obsessive, die Zwischenwelten und die Gestalten der Nacht, wie sie tanzen, straucheln und wieder aufstehen. Und manchmal liegen bleiben.
„Im Stein” (S. Fischer) heißt sein neuer Roman, für den sich jeder einzelne Tag des Wartens (immerhin um die 2555 seit „Als wir träumten”) gelohnt hat. Das 558 Seiten starke Buch ist ein großer Wurf, weil sich in ihm Empathie, scharfe Beobachtungsgabe, die Fähigkeit zur Innensicht und der bis in Nuancen stimmige Ton zu großer Literatur vereinen. In fortwährend inneren Monologen mäandern die Gedanken von Meyers Protagonistenteam durch die Nacht: Babsi, die Hure aus Jena-Paradies, der versoffene Jockey, der seine Tochter sucht, die schon mit 14 an der Nadel hing, AK 47, der angeschossen auf irgendeinem Parkplatz verreckt. Sie alle bevölkern diese Stadt bei Nacht, und doch hat man das Gefühl, dass sie nur die Vorhölle erleben, während das wahre Grauen abgeht, wenn die Sonne scheint: „Du kannst einen Kampf nur gewinnen, indem du ihn vermeidest.”
In der Literatur des 1977 in Halle geborenen Clemens Meyer steckt eine brachiale Kraft, eine Härte, die Aufrichtigkeit atmet, und ein tiefes Verständnis für die am Rande Stehenden. Ja, man möchte fast von einer Botschaft sprechen, wüsste man nicht, dass Meyer darüber ziemlich spöttisch grinsen würde.
cap san diego (überseebrücke), dienstag, 17.9., 21.00 uhr, euro 13,-/11,-