Di 24.10.06
20.00 Uhr
Ort: Literaturhaus, Schwanenwik 38, 22087 Hamburg
8,-/6,-/4,-

Annette Pehnt und Thomas Glavinic

Annette Pehnt liest aus „Haus der Schildkröten“. Thomas Glavinic liest aus „Die Arbeit der Nacht“. Rainer Moritz moderiert

Als Jonas eines Morgens aus unruhigen Träumen erwacht, wird aus Horror Alltag: “Da war nichts.” Wien ist leer – keine Menschen, keine Tiere. Das Fernsehbild grau, der Internetserver antwortet nicht, die Telefone klingeln ins Leere. Allein. Das Riesenrad im Prater steht still und stumm, der Flughafen ist verwaist, alle sind fort. Ohne Abschied, ohne Erklärung. Systematisch erforscht Jonas seine verlassene Nachbarschaft, taucht tief in die eigene Geschichte ein, obschon ihm längst klar ist, dass er der Letzte ist. Abermals ruft er vergeblich Maries Handy an, die nach England reiste. Jonas installiert Videokameras, filmt sich im Schlaf und macht beunruhigende Entdeckungen. In seinem großen fünften Roman “Die Arbeit der Nacht” seziert der Grazer Thomas Glavinic den Albtraum des Beobachters, der glaubt, zum Beobachteten zu werden: “Er hatte das Gefühl, es sei jemand da, zugleich wusste er, dass niemand da war. Und ihn quälte der Gedanke, dass beides stimmte.” Glavinic, “ein subtiler Choreograph der Wiederholung” (NZZ), stellt in seiner raffinierten Versuchsanordnung die essenzielle Frage nach der Menschlichkeit des Menschen ohne Mitmenschen. Schriftstellerkollege Daniel Kehlmann schreibt im “Spiegel”: “Ein wundersam großes Buch, ein Roman über das Selbst und die anderen, über Angst und Mut, über die Brüchigkeit des Alltags.”

Die Angst vor dem eigenen Verschwinden wohnt auch in Annette Pehnts “Haus der Schildkröten”. Hier werden die abgestellt, die alleine nicht mehr klarkommen und doch einsamer sind als je zuvor: der Professor, der ellenlange Abhandlungen verfasst, die keiner lesen kann; Frau von Kanter, die alles versteht, aber nichts mehr sagt, und die anderen “Immergleichen”. Rituale und Routine bestimmen den Alltag im Seniorenheim “Haus Ulmen”: Am Wochenende kommen die Kinder mit geföhnten Frisuren und Schuldgefühlen, dazu tischt Frau Sören in der Cafeteria Schwarzwälder Kirschtorte auf, aber montags gibt es dort gar nichts und schon “dienstags vertrocknen die Geschichten”. Wunderbar unprätentiös macht sich Annette Pehnt mit der “abgründigen Anmut” (NZZ) ihrer funkelnden Sprache daran, eines der letzten Tabuthemen unserer Gesellschaft kaputt zu schlagen, und zaubert aus unserem “zukünftigen Nicht-mehr-da-Sein” (Wilhelm Genazino) große Literatur.

8,-/6,-/4,-

Als Jonas eines Morgens aus unruhigen Träumen erwacht, wird aus Horror Alltag: “Da war nichts.” Wien ist leer – keine Menschen, keine Tiere. Das Fernsehbild grau, der Internetserver antwortet nicht, die Telefone klingeln ins Leere. Allein. Das Riesenrad im Prater steht still und stumm, der Flughafen ist verwaist, alle sind fort. Ohne Abschied, ohne Erklärung. Systematisch erforscht Jonas seine verlassene Nachbarschaft, taucht tief in die eigene Geschichte ein, obschon ihm längst klar ist, dass er der Letzte ist. Abermals ruft er vergeblich Maries Handy an, die nach England reiste. Jonas installiert Videokameras, filmt sich im Schlaf und macht beunruhigende Entdeckungen. In seinem großen fünften Roman “Die Arbeit der Nacht” seziert der Grazer Thomas Glavinic den Albtraum des Beobachters, der glaubt, zum Beobachteten zu werden: “Er hatte das Gefühl, es sei jemand da, zugleich wusste er, dass niemand da war. Und ihn quälte der Gedanke, dass beides stimmte.” Glavinic, “ein subtiler Choreograph der Wiederholung” (NZZ), stellt in seiner raffinierten Versuchsanordnung die essenzielle Frage nach der Menschlichkeit des Menschen ohne Mitmenschen. Schriftstellerkollege Daniel Kehlmann schreibt im “Spiegel”: “Ein wundersam großes Buch, ein Roman über das Selbst und die anderen, über Angst und Mut, über die Brüchigkeit des Alltags.”

Die Angst vor dem eigenen Verschwinden wohnt auch in Annette Pehnts “Haus der Schildkröten”. Hier werden die abgestellt, die alleine nicht mehr klarkommen und doch einsamer sind als je zuvor: der Professor, der ellenlange Abhandlungen verfasst, die keiner lesen kann; Frau von Kanter, die alles versteht, aber nichts mehr sagt, und die anderen “Immergleichen”. Rituale und Routine bestimmen den Alltag im Seniorenheim “Haus Ulmen”: Am Wochenende kommen die Kinder mit geföhnten Frisuren und Schuldgefühlen, dazu tischt Frau Sören in der Cafeteria Schwarzwälder Kirschtorte auf, aber montags gibt es dort gar nichts und schon “dienstags vertrocknen die Geschichten”. Wunderbar unprätentiös macht sich Annette Pehnt mit der “abgründigen Anmut” (NZZ) ihrer funkelnden Sprache daran, eines der letzten Tabuthemen unserer Gesellschaft kaputt zu schlagen, und zaubert aus unserem “zukünftigen Nicht-mehr-da-Sein” (Wilhelm Genazino) große Literatur.

Medienpartner NDR Info